Karfreitag: 10. 04. 2020
Mit Stichtag 27. März sind in Italien mindestens 67 Priester der Corona-Epidemie zum Opfer gefallen.
Mit einer selbstlosen Tat hat ein italienischer Priester (Don Giuseppe Berardelli) inmitten der Corona-Krise für Schlagzeilen gesorgt. Laut Medienberichten rettete der 73 Jährige einem ebenfalls am Virus erkrankten Mitpatienten das Leben, indem er ihm das eigene Beatmungsgerät überließ. Der Geistliche starb wenig später an den Folgen der Krankheit.
Dabei hatte seine Kirchengemeinde nahe Bergamo das Gerät speziell für ihren infizierten Priester erworben, weil es in der Region an Beatmungsgeräten mangelt. Der Priester hatte jedoch darauf bestanden, den lebenswichtigen Apparat an einen jüngeren, ihm nicht bekannten Patienten weiterzugeben.
„Welch ein Mensch!“ So stehen wir staunend vor diesem selbstlosen Menschen.
Mir ist beim Lesen dieser Zeilen Jesus vor Pilatus eingefallen. Wie er Jesus mit einer Dornenkrone am Kopf, einem purpurroten Mantel umgehängt zu den Menschen hinausführt und sagt: „Seht, welch ein Mensch!“ Ich finde keine Schuld an ihm!
„Seht, welch ein Mensch!“
Man kann dieses Wort an diesem Karfreitag 2020, von Pilatus zu Christus gesprochen, zu vielen Menschen sagen: zu diesem italienischen Priester, zu den Menschen, die in diesen Tagen Unermessliches leisten, die nicht in erster Linie auf ihr eigenes Risiko, sondern auf die Menschen in Not schauen.
Seht, welche Menschen!
Er wird nicht mehr behandelt, weil er schon zu alt ist und daher für ihn kein Intensivbett mehr da ist, wie es schon in einigen Ländern passiert.
Seht, welche Menschen! Es sind die Menschen, die im Kriegsgebiet leben, die auf der Flucht vor Verfolgung sind, Menschen, die gefoltert, gemartert, getötet, missbraucht werden. Seht, da sind Menschen. Sie schreien nach Hilfe, nach Erbarmen, nach jemandem, der Mitleid mit ihnen hat.
Coronakranke, unheilbar kranke Menschen, die sich jeden Tag quälen, können uns einfallen.
Da hat einer seine Arbeit verloren und hat das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören.
Seht, welch ein Mensch! Für jeden von uns kann dieser Mensch ein anderes Gesicht haben. Sie warten auf ein Zeichen des Mitleids von mir.
Karfreitag 2020!
Pilatus zeigte Jesus den Menschen von seinem Palast. „Seht, welch ein Mensch!“ Uns bringt das Fernsehen diese Menschen täglich ins Wohnzimmer! Die Leute vor Pilatus schrien: Kreuzige ihn! Und wie reagieren wir?
Seht, welch ein Mensch! Johannes stellt uns diesen Jesus in seiner Passion, die am Karfreitag gelesen wird, mit diesen Worten aus dem Mund des Pilatus vor Augen.
Jesus stellt sich am Karfreitag auf die Seite der Menschen. Auf die Seite derer, die in Not sind, verfolgt, krank oder auch auf die Seite derer, die für andere eintreten, unermessliches leisten.
Gott geht es um den Menschen, der leidet, der trauert und weint. Gott geht es um den, der nicht mehr weiter weiß. Gott geht es um dich – Gott geht es um mich.
Für mich ist dies Trost und Auftrag zugleich: Gott steht auf der Seite der Menschen. Ich vertraue darauf, dass Gott auch an meiner Seite steht. Ich vertraue darauf, dass er mir jemanden an die Seite stellt, der mit mir Angst und Zweifel, Wut und Sprachlosigkeit aushält, der mir vielleicht sogar neuen Mut schenken kann, der mich wieder hoffen läßt, der mir hilft, den nächsten Schritt zu wagen.
Und ich wünsche uns, dass wir nie gleichgültig werden, wenn es jemandem schlecht geht. Ich erwarte, dass Christen im Angesicht von Gewalt und Unrecht den Mund aufmachen und diese Welt verändern helfen.
Pfarrer i.R. Johann Zarl
Ich wünsche uns allen diese österliche Erfahrung, dass einer mit uns geht durch alle Höhen und Tiefen des Mensch-Seins. „Seht, welch ein Mensch!“ Er steht auf meiner Seite. Er lässt auch mich nicht fallen! Auferstehung, Ostern ist nahe!