Du bist kostbar in meinen Augen (Ruth Heil)
30. Sonntag im Jahreskreis, Evangelium Mt 22,34-40
Wie die Einleitung deutlich zeigt, geht es den Fragern gar nicht um den Inhalt, sondern darum, Jesus aufs Glatteins zu führen. Jesus durchschaut dies, nimmt sie aber trotzdem ernst und nützt die Gelegenheit, um sie an das, was ihm selbst am wichtigsten ist zu erinnern, an das Gebot der dreifachen Liebe, der Liebe zu Gott, zu mir selbst, zu Mitmensch/Schöpfung. Denn daran, sagt Jesus, hängt alles!
Meist fallen uns da zuerst die Mitmenschen ein. Es gibt wohl kaum jemanden unter uns, der/die ehrlichen Herzens sagen könnte: ich mag jeden Menschen, ich verstehe jeden Menschen, mit dem ich zu tun habe, ich kenne keine Konflikte, keine Antipathie, keine Menschen, mit denen ich mich schwer tue —-. Ich glaube, wir alle haben schwierige Beziehungen mit bestimmten Menschen, die wir liebend gerne verändern würden – die Beziehung, bzw. oft auch den betreffenden Menschen, weil wir glauben, dass ja der andere schuld ist, dass es mit der Beziehung nicht klappt. Das sitzt sowieso tief in uns drinnen: der andere müsste sich ändern, dann würde in unserem Leben alles leichter!
Gar nicht einfacher ist die Beziehung zu uns selbst. Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst, formuliert ja Jesus. Mag ich mich wirklich so wie bin? Oder bin ich nicht da auch sauer über vieles, was ich lieber anders hätte? Das beginnt oft schon mit Körperbau, Gesicht; dann das, was mir meine Vorfahren an Charaktereigenheiten mitgegeben haben und dazu fällt mir häufig auch noch eine Menge ein, was ich selbst im Leben besser anders gesagt oder gemacht haben sollte —-
Der große Theologe Karl Rahner schreibt einmal: „Es ist die große Tat unseres Lebens: uns selbst anzunehmen“
Und dann die Beziehung zu Gott: auch sie kann schwierig sein. Wenn ich nicht glauben kann, wenn ich seine Gegenwart so ganz und gar nicht wahrnehmen kann, wenn ich mit bestem Willen nicht verstehe, warum er all das grauenhafte Leid in der Menschheit zulässt.
Wir gehen alle hervor aus dem Dreifaltigen Gott, der in sich Beziehung ist und lebt und er stellt uns von Anfang an in diese dreifache Beziehung: zu IHM, zu uns selbst und zu Mitmensch/Schöpfung. Und ähnlich wie Gott gleichzeitig der eine Gott ist, lassen sich auch Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe nicht trennen. Wir haben nur EIN Herz, mit dem wir lieben können, das bedeutet, wir lieben entweder alle drei oder niemand. Ich kann also nicht Gott lieben und den Mitmenschen ignorieren oder den Nächsten lieben und mich selbst ablehnen —
Stellt sich die Frage: kann man Liebe denn befehlen, mit einem Gebot regeln? Liebe, die wir als Gefühl wahrnehmen, ganz sicher nicht! Jesus ist Realist, er kennt den Menschen gut, also muss es wohl Sinn machen, wenn er uns dieses dreifache Gebot gibt, das große Liebesgebot.
Mir hilft da die lateinische Sprache. Da steht für „Liebe“: Amor, Caritas, Benevolentia.
Amor kennen wir alle vor allem als Liebe zwischen Mann und Frau.
Caritas steht für die barmherzige, helfende Liebe.
Jesus aber hat beim Liebesgebot sinngemäß (in seiner Sprache) „benevolentia“ gesagt, auf Deutsch „Wohlwollen“. Da steckt „Wollen“ drinnen, d.h. für diese Liebe kann ich mich entscheiden – und das immer wieder. Für mich ist das wirklich befreiend! Für Wohlwollen kann ich mich nämlich auch gegenüber einem Menschen entscheiden, der mir unsympathisch ist, mit dem ich mich schwer tue, ja der mich verletzt. Ich bin mir sicher, auch bei selbst gewählten BeziehungspartnerInnen, z. B. in der Ehe gibt es Phasen, in denen ich gefühlvolle Liebe nicht aufbringe, sondern nur mit Wohlwollen durchkomme. Ebenso wenig kommt die helfende Liebe ohne bewusste Entscheidung für Wohlwollen aus.
Fühlen wir uns nicht trotzdem überfordert vom großen Liebesgebot? Wir sind einfach nicht in der Lage, bedingungslos zu lieben. Ich glaube, erst wenn ich zu dem Vertrauen finde, dass ich von meinem Erfinder, Schöpfer, von Gott ein Leben lang ohne jede Bedingung gewollt und geliebt werde und zwar so, wie ich nun einmal bin, wird es mir möglich sein, mich selbst anzunehmen. Und erst, wenn ich mich selbst annehmen und mir mit Wohlwollen begegnen kann, werde ich auch fähig, Mitmensch und Schöpfung zu lieben.
Ruth Heil bringt Gottes Beziehung, Gottes Liebe zu jeder/jedem von uns wunderbar ins Wort:
Sternstunde
Als du entstanden bist,
das war eine Sternstunde Gottes.
Er sprach: es werde! Dann wurdest du.
Du bist kein Zufall und kein Unfall,
sondern ein Einfall Gottes.
Und Gott sagt zu dir:
Du bist wertvoller als ein Stern,
der irgendwann im Weltall verglüht!
Du bist gerufen, für mich zu leuchten.
Ich bin es, der vor dir hergeht, der helle Morgenstern.
Sei getrost, mein Kind, ich weise dir den Weg,
auch im dunklen Tal!
Du bist kostbar in meinen Augen,
und ich habe dich lieb!
Ruth Heil
Impuls von Sr. Huberta Rohrmoser
Marienschwester Kl. Erla