Wir sind mitten im Sommer und erleben ein Leben in großer Fülle. Wie erleben, wie die reifen Felder abgeerntet werden. Wie sehen die Früchte auf den Bäumen. Wir erleben die Welt in ihrer Schönheit und Pracht. Jesus hat gesagt: Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt, und es in Fülle habt. Das Leben in Fülle, das Jesus uns verheißt ist aber mehr als die Fülle des Sommers, der Ernte, des hiesigen Lebens, so schön das alles ist. Es ist vergänglich und wir wissen, dass der Herbst und der Winter kommen werden. Wir wissen auch um die Vergänglichkeit unseres eigenen Lebens. In diesen Tagen der weltweiten Corona-Pandemie sind Leid und Tod stärker in unser Bewusstsein gerückt. Aber als Christen haben wir die Hoffnung auf ein Leben in Fülle, das wir für uns gläubig erwarten und erhoffen. Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, das die Kirche seit dem 5. Jahrhundert feiert ist also das Fest unserer eigenen endgültigen Zukunft.
Was hat dieses Fest uns heute zu sagen? In unserem Eröffnungsgebet haben wir gebetet: Gib, dass wir auf dieses Zeichen der Hoffnung und des Trostes schauen und auf dem Weg bleiben, der hinführt zu deiner Herrlichkeit. Maria zeigt in ihrer Aufnahme in den Himmel und in ihrer Verherrlichung, die Erfüllung des Weges der Gläubigen. Aus dieser Zukunftshoffnung dürfen wir Christen leben. Und diese Hoffnung dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, falls uns auf unserem Lebensweg Enttäuschungen, Kummer und Sorgen begegnen. Dann brauchen wir umso mehr den Blick auf Maria, die uns als Zeichen der Hoffnung und des Trostes gegeben ist.
Dass wir genug Kummer und Sorgen haben, brauche ich nicht zu erläutern. Das war immer der Fall. Aber die Liturgie heute, besonders die erste Lesung, spricht etwas mehr als die alltäglichen Kummer und Sorgen der Menschen an, symbolhaft und kräftig. Das Buch der Offenbarung wurde gegen Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus verfasst, und zwar als Brief an sieben Gemeinden, die zunehmend in Bedrängnis geraten waren. Er schildert einen gewaltigen Kampf der Mächte – Gott gegen den Satan, Gut gegen Böse, die Kirche gegen das römische Reich. Der Drache, der in der Antike für widergöttliche und chaotische Mächte, aber auch oft für unterdrückerische Systeme steht, wird gestürzt, aber (noch) nicht vernichtet. Dier Botschaft ist klar: Das Böse ist seit Ostern nicht mehr übermächtig, aber es ist noch vorhanden. Die Bilder der Offenbarung sind durchaus Hinweis und Fingerzeig auch für Auseinandersetzungen heute, wie wir sie kennen. Der ewige Kampf ist in vielen unterschiedlichen Facetten auch heute in unserer Welt vorhanden. In dieser Spannung lebt die Kirche, leben wir Christen. Das Bild der himmlischen Frau gibt den Gemeinden des Johannes und uns Grund zur Zuversicht. Der letzte Satz der Lesung spricht von dem rettenden Sieg unseres Gottes und der Vollmacht seines Gesalbten.
Wir leben in einer zunehmend sich säkularisierende Welt, die meint, die Welt sei genug. Mehr gibt es nicht, und mehr brauchen wir nicht. Die Sinnsuche der Menschen ist rein innerweltlich geworden. Wegen seiner Einfachheit und Nachvollziehbarkeit besitzt dieses Weltbild große Attraktivität. Aber trotzdem kann man das Verlangen nach etwas über diese Welt hinaus, das wir Gott nennen, Leben in Fülle nennen, nicht für immer verdrängen. Treffend hat Augustinus es formuliert: Du hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz bis es ruht in dir.
Wir die Kirche, wir die Gläubigen müssen eine Art Katalysator sein, der den Prozess von „Welt ist genug“ zu „Welt ist nicht genug“ in Gang bringt. Die Kirche ist kein Selbstzweck, kein frommer Insiderclub, kein Zirkel für religiös Bedürftige. Die Kirche hat eine Aufgabe in der Welt. Durch sie sollen die Menschen entdeckten, dass die Welt eben nicht genug ist. Durch sie sollen die Menschen entdecken: Es gibt Gott, An ihn zu glauben und mit ihm zu leben, gibt dem Leben einen wirklichen Sinn, hilft Probleme zu meistern, tut dem Herzen gut, macht lebenstüchtig, kann von lebenszerstörerischen Zwängen befreien, schenkt die Gewissheit, von Gott gewollt und geliebt zu sein, und inspiriert zu einer lebendigen Hoffnung über den Tod hinaus.
Es ist keine Frage, dass die Kirche in den letzten Jahren zu viel Glaubwürdigkeit und Vertrauen verspielt hat. Ja selbstkritisch müssen wir bleiben. Aber Christinnen und Christen werden gerade jetzt gebraucht, die in ihrer Haltung zeigen, was es bedeutet, gehalten zu sein: in aller Demut getröstet und verankert im glauben an Gott. Sie werden es mir verzeihen, dass ich am Festtag Mariens Martin Luther zitiere, der sagte: „Wir sind es doch nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen. Unsere Nachkommen werden es auch nicht sein, sondern, der ist es gewesen, ist es noch und wird es sein, der da sagt: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Wir müssen herauskommen aus der Haltung der Verzagtheit, und getrost und unverzagt unseren Glauben leben. Ich wünsche Ihnen einen schönen Festtag, Mariä Aufnahme in den Himmel.
Dr. Isaac Padinjarekutttu