Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?“, schreibt die Kärntner Lyrikerin Christine Lavant in ihrem Gedicht „Die Bettlerschale“. Mit dem Fest Allerheiligen wenden wir uns dem zu, was vom Himmel kommend heilig ist. Es ist gleichsam das Begegnungsfest zwischen Himmel und Erde, in das wir Menschen hineingewoben sind. Einige von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, haben in diesem vergangenen Jahr einen lieben Angehörigen, einen Freund, eine Freundin, eine/n Bekannte/n verloren. Vielleicht haben Sie auf Grund der derzeitigen Corona-Pandemie auch nicht die Möglichkeit gehabt, sich am Grab bei der Beerdigung zu verabschieden. Umso wichtiger ist es, besonders am Fest Allerheiligen all unsere Verstorbenen im Gebet hereinzunehmen und sie am Friedhof zu besuchen. Gerade im Angesicht des Todes eines geliebten Menschen fehlt uns die Kraft. Es ist, als ob auch wir die Lebenskraft und Lebensfreude ein Stück weit sterben lassen müssten. In diese Trauer hinein, die uns schwächt, die uns Angst macht, kommt Gott, kommt der Himmel uns entgegen.
Am Fest Allerheiligen erinnern wir uns an all jene Heiligen, die uns in das Leben bei Gott vorausgegangen sind. Ihnen dürfen wir – gemeinsam mit unseren lieben Verstorbenen – nahe sein. Es ist, als „ob der Himmel niederkniet“, das gemeinsame Fest der Heiligen und unserer lieben Verstorbenen. Umso verständlicher ist es, dass wir uns an den Tagen zuvor auf das Fest vorbereiten. Wir schmücken die Gräber und entzünden an den verschiedenen Grabstätten Kerzen. Gleichzeitig aber spüren wir, dass das irdische, materielle Denken alleine nicht genügt. Wir brauchen Rituale und vor allem den Segen, der uns die innere Ruhe und das Vertrauen schenkt, dass unser letzter Sinn und unser eigentliches Ziel der Himmel ist. Solange wir unterwegs sind, brauchen wir immer wieder Labe-Stellen für unsere Seele, die uns nähren und darauf besinnen, was im Leben wirklich wichtig ist.
Die Gräbersegnung ist ein Ritual, bei dem wir mit dem Heiligen, dem Himmel in Beziehung treten können. Es ist aber auch eine Möglichkeit, zu sehen, dass wir in unserer Trauer, in unserem Schmerz um den verstorbenen Angehörigen, nicht alleine sind. Wir, die Lebenden, erwarten den Himmel, der sich zeigt und uns im Gedenken an unsere Verstorbenen entgegenkommt. Gleichzeitig werden wir auch daran erinnert, dass unser irdisches Leben sich eines Tages in das Leben bei Gott Hineinverwandeln wird.
Ich verstehe schon, liebe Leserin, lieber Leser, dass Sie nach dem Friedhofsbesuch dann in Ihren Familien das Leben feiern wollen. Das heurige Allerheiligenfest könnte ein Anlass sein, einmal ganz anders das Leben zu feiern, mit einem Spaziergang danach und in der eigenen Familie. Fragen Sie Ihre Kinder, was das Heilige für sie bedeutet. Sie werden staunen. Sie können sich aber auch alleine damit beschäftigen, wo der Himmel in Ihrem Leben niedergekniet ist. Nehmen Sie die Möglichkeit wahr, dem Heiligen zu begegnen und nehmen Sie heuer einmal Abstand von den bisher üblichen Feiern im größeren Familienkreis, auch wenn es zum Brauchtum gehört.
Vielleicht möchte uns diese Zeit der äußeren Distanzierung, des Abstandhaltens im Blick auf Corona hinführen zu einer stillen und besinnlichen Beschäftigung mit dem Wesentlichen für unsere Seele. Teilen Sie dann Ihre Gedanken mit Freunden oder Bekannten, mit Familienmitgliedern am Telefon. Diese Erfahrung kann zu einem besonderen Festtag für Sie und Ihre Familien werden.
Das wünsche ich Ihnen von Herzen
Bischof Alois Schwarz